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Osttirol ist … SOZIAL

Was auch immer das Problem ist, es gibt keinen, der’s nicht auch schon gehabt hätte. Die gute Nachricht: Es gibt auch keinen, dem nicht schon geholfen worden wäre. Bei der Selbsthilfe in Osttirol. Nur kommen. Das muss man selbst.

Geschäftsstellenleiter Wolfgang Rennhofer freut sich. Er berichtet von einem Gruppenmitglied, dem es mit Burnout und Depressionen sehr schlecht ging. Er wandte sich an die Selbsthilfe Osttirol, erzählte von seinen Schwierigkeiten, auch bürokratischer Natur – und konnte am Ende des Gesprächs sogar einen Witz machen.

Ansprechpartner für jedes Problem

So schnell geht’s freilich nicht immer. Wolfgang Rennhofer weiß, wovon er spricht. Denn er ist auch Gruppenleiter und als solcher Experte der eigenen Erkrankung. Wie alle Gruppenleiter. Er weiß, wie dunkel und schwer Tage sein können, schlaflos die Nächte, wie tief ein Loch, in das man fallen kann. Rund 50 Gruppen zählt die Selbsthilfe Osttirol. Gruppen aller Größen für sehr junge Menschen und sehr alte. Sie leiden unter Schlaflosigkeit oder Parkinson, kämpfen mit den Auswirkungen eines Schlaganfalls oder mit Essstörungen. Sie wissen nicht, wohin vor Schmerz, wenn ihr Kind stirbt. Sie leiden unter Mobbing, Panikattacken oder schlicht unter Einsamkeit. Und offenbar gibt es mehr einsame Menschen, als man denkt. Manche kommen sogar aus Kärnten, um sich mit anderen Gleichgesinnten zu treffen.

„Wir bauen eine Brücke“

Einen Arzt ersetzt die Selbsthilfe nicht. „Wir sehen uns als Begleitung zum professionellen Angebot“, fasst Wolfgang Rennhofer zusammen. Manche Gruppen begleiten Psychologen, andere Krankenschwestern, wieder andere Therapeuten. „Erst wird geklärt: Gibt es eine ärztliche Diagnose? Nimmt der Betroffene bereits an einer Therapie teil? Nimmt er Medikamente?“, sagt Wolfgang Rennhofer. „Dann bauen wir eine Brücke.“ Dafür reicht meist schon ein einziger Anruf.

von links: Kerstin Moritz, Brigitta Kashofer und Wolfgang Rennhofer

Hilfe – vorrangig und anonym

„Wir sind sehr gut vernetzt und kennen immer jemanden, der weiterhelfen kann“, erklärt Assistentin Brigitta Kashofer. „Bei Scheidungsfällen zum Beispiel. Auch dann sind wir die Drehscheibe, machen Termine aus.“ Zunehmend suchen Menschen mit seelischen Problemen Rat. „Nicht erst seit der Pandemie“, ergänzt ihre Kollegin Kerstin Moritz. Wer bei der Selbsthilfe anruft und eine der beiden Mitarbeiterinnen am Telefon hat, kann auf ein lösungsorientiertes Gespräch zählen. Wer dabei anonym bleiben möchte, kann auch das.

„Nichts ersetzt ein persönliches Gespräch“

Der Zugang ist niederschwellig: „Wir brauchen keine Versicherungsnummer, kein Geburtsdatum und es ist alles kostenlos“, sagt Wolfgang Rennhofer. Ein Angebot, das viele Menschen in Anspruch nehmen. Aus einzelnen Gruppen schließen sich wieder andere Grüppchen zusammen. Und so wird gespielt, gestrickt, es werden Computerprobleme behoben. Computer lösten während der Lockdowns häufig gemeinsame Treffen ab. Doch jetzt kehren alle zu persönlichen Gesprächen zurück. „Sie sind durch nichts zu ersetzen“, sagt Wolfgang Rennhofer. Es sei einfach ein anderes Kommunizieren. Und keine Recherche im Internet, kein Selbsthilfebuch ersetze den Arztbesuch und den persönlichen Austausch. Und was, wenn es für ein bestimmtes Problem noch keine Gruppe gibt?

Hilfe für Angehörige

 „Dann stellen wir Räumlichkeiten zur Verfügung, kümmern uns auch um Therapeuten oder Mediziner, die diese Gruppe eventuell begleiten können. Wir werben dafür, auch das ist kostenlos“, sagt Wolfgang Rennhofer.

Doch nicht immer ist einem bewusst, dass man ein Problem hat. Woher auch. Deshalb gehen er und andere Betroffene aus Selbsthilfegruppen in Schulen und halten Vorträge zu persönlichen Erfahrungsthemen, wie z.B. Alkoholmissbrauch. Er berichtet über Panikattacken und klärt über Depressionen auf, sensibilisiert zum Thema Stigmatisierung. Da ginge es mitunter ans Eingemachte, sagt er. Nicht wenige Jugendliche seien auch zuhause stark gefordert, mit der Pflege der Oma zum Beispiel. Das sei oft selbstverständlich. Aber: Wie merke ich, wenn es mir schlechter geht? Und wie merke ich, dass es einem Freund oder einem Verwandten schlechter geht? Was kann ich damit machen? Wie gehe ich damit um? Und wo bekomme ich Hilfe? Alles Fragen, die Wolfgang Rennhofer beantworten kann. Denn auch Angehörige seien oft die Betroffenen. In wenigen Wochen, am 11. Juni, findet beispielsweise der „Demenztag“ der Selbsthilfe Osttirol statt.

„Ich wär’ nicht mehr am Leben“

Weitere Termine sind beispielsweise für September geplant. So sprechen der ehemalige Skisprungtrainer Alexander Pointner und seine Frau Angela offen über den Tod ihrer 17-jährigen Tochter Nina. Auch Schlafprobleme sind ein Thema. Zum Schluss erzählt Wolfgang Rennhofer noch von einem Gruppenmitglied, einer Frau. Sie erzählte, dass sie schon lang keine Probleme mehr hätte. Sie habe so viel in der Gruppe gelernt und könne nun mit ihren Schwierigkeiten umgehen. Sie sagte: „Ich wäre längst nicht mehr am Leben, wenn ich diese Hilfe nicht bekommen hätte.“ Und so teilt sie nicht nur ihre Probleme mit anderen. Heute teilt sie auch wieder ihre Freude am Leben.   

Weitere Informationen und Termine:
www.selbsthilfe-osttirol.at
Tel.: 04852/606-290
Mobil: 0664/3856606

Autorin:
Monika Hoeksema

© Shutterstock, Monika Hoeksema

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