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Von der Gewinnmaximierung als alleiniges Unternehmensziel verabschieden
Osttirol ist … WIRTSCHAFTSSTANDORT

Die Welt ändert sich. Gefühlt rascher denn je. Selbst für jene in Osttirol, die ganz zufrieden auf ihren Hausberg schauen können – mit bester Auftragslage. Auch sie werden radikal neue Ideen brauchen. Wirtschaftswissenschaftler René Schmidpeter erklärt, warum das so ist.

Alles ist derzeit im Wandel –Wirtschaftssysteme, Globalisierung, Wertevorstellungen … Was bedeutet das für Osttirol?
René Schmidpeter: Regionen sind im Allgemeinen dann erfolgreich, wenn sie es schaffen, Antworten auf Fragen zu geben, die global relevant sind. Konkret: Was ist der Beitrag Osttirols für eine nachhaltige globale Entwicklung? Wenn wir diese Antworten nicht geben können, sind wir nicht relevant für andere. Das wird für uns dann zum wirtschaftlichen Nachteil. Wenn es uns aber gelingt, innovative Antworten zu finden, dann wird Osttirol in den gegenwärtigen globalen Entwicklungen eine wirtschaftliche Bedeutung erlangen. Eine erfolgreiche unternehmerische Antwort sind zum Beispiel Wärmepumpen – ein Erfolgsbeispiel aus Osttirol – oder aber auch andere innovative unternehmerische Lösungen.

Welche Bereiche betrifft das?
RS: Hier geht es um die Themen Wohnraum, Mobilität, Energie, Ernährung sowie Gesundheit und Bildung.

„Osttirol ist keine Insel der Glückseligen.“

Ist Osttirol hier nicht ohnehin auf einem guten Weg?

RS: Wir haben natürlich sehr viel Positives. Unglaubliches Naturkapital, die schönen Berge, die freundlichen Menschen, innovative Unternehmen … da besteht oft die Gefahr, dass man sich in einer Illusion hineingibt, nach dem Motto „Es passt eh alles“. Aber gerade das haben wir in der Pandemie gelernt: Osttirol ist eben keine Insel der Glückseligen. Sondern: Weltweite Effekte, wie zum Beispiel Pandemien, jetzt auch Lieferkettenengpässe bis hin zu Inflation und anderen gesellschaftlichen Herausforderungen, dies alles trifft uns im gleichen Maß wie andere. Vielleicht manchmal ein bisschen später, aber die Auswirkungen treffen auch uns.

Was bedeutet das konkret für jeden Osttiroler?

RS: Wir stehen im Wettbewerb mit anderen Regionen. Wird Osttirol also Vorreiter bzw. Pionier? Oder sind wir im schlimmsten Fall Nachzügler, der dann schauen muss, wo er bleibt. Diese Frage entscheidet sich meines Erachtens im hier und jetzt.

Nicht mehr nur Dollar und Euro: „Wir stehen vor einer großen Transformation“

Hat Corona allein diese Trendwende eingeleitet?

RS: Nein. Bereits vor der Pandemie, also vor 2019, hat sich eine fundamentale Wende abgezeichnet. Nicht nur, dass auf den internationalen Finanzmärkten die langen Zinsen in den negativen Bereich gerutscht sind, war bereits ein erstes Anzeichen dafür, dass es zu geldpolitischen und damit in weiterer Folge auch zu wirtschaftlichen Veränderungen kommen wird. Auch die führenden CEOs in den USA haben sich bereits vor der Pandemie im Herbst 2019 von der Gewinnmaximierung als alleiniges Ziel von Unternehmen verabschiedet. Dies war über 20 Jahre lang das dominierende Paradigma in der globalen Wirtschaft – nämlich als alleiniges unternehmerisches Ziel, die Gewinne zu maximieren.

Was bedeutet das für die Zukunft?
RS: Wir stehen vor einer großen Transformation. Für Unternehmen ist es künftig wichtig, sich zum einen im Einklang mit der Gesellschaft zu entwickeln, zum anderen impactorientiert zu handeln. Das heißt: als Unternehmer messe ich die Wirkung auf die Gesellschaft nicht nur in Euro und Dollar, sondern auch in sozialen und ökologischen Dimensionen.

„Wir brauchen eine Wirtschaft in Kreisläufen.“

Und das rund um die Welt?

RS: In einem sind sich die Ökonomen einig: Wir sind am Ende der Globalisierung, wie wir sie kennen oder vielleicht sogar am Ende des Globalisierungsprozess überhaupt.

Unser Wohlstand baut bislang sehr stark auf eine weltweite Arbeitsteilung auf – mit einem günstigen Zugriff auf Rohstoffe und Vorprodukte. Das droht jetzt immer mehr verloren zu gehen. Aber darin liegt natürlich auch eine große Chance: Nämlich mit dem Entkoppeln des wirtschaftlichen Wachstums vom ökologisch negativen Ressourcenverbrauch. Das heißt: Wir werden in Zukunft wirtschaftlichen Wertschöpfung und gesellschaftlichen Wohlstand kreieren, ohne Abfall zu produzieren, ohne immer mehr Ressourcen zu verbrauchen, ohne CO2 zu emittieren. Das kann nur gelingen, wenn wir die unternehmerische Wertschöpfung nicht mehr wie in der Vergangenheit linear, sondern in Kreisläufen organisieren.

Bedeutet das eine Art Rückentwicklung in ein Zeitalter vor der Globalisierung?

RS: Nein, wir werden die Globalisierung sozusagen neu denken, regionaler. Das ist eine Chance für Unternehmen, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln und regionale Wertschöpfung zu betreiben. Wir werden wahrscheinlich in Zukunft die Computerchips nicht mehr in Asien produzieren, sondern wieder vor Ort in Europa, vielleicht sogar hier in der Region. Zudem lassen sich in einer Wissensgesellschaft vermehrt digitale Geschäftsmodelle aufbauen, welche ganz neue Möglichkeiten bieten. Man kann seine Zulieferketten digital im Blick behalten, damit die Prozesse sehr viel flexibler steuern und zudem mit Kunden und Geschäftspartnern weltweit kommunizieren. Dies wird die Art wie wir arbeiten fundamental ändern, Lernprozesse beschleunigen und innovative Geschäftsmodelle ermöglichen.

„Unternehmen brauchen die Unterstützung der regionalen Akteure.“

Wo liegt dabei die Herausforderung?

RS: Die aktuellen inflationären Tendenzen machen eine Kalkulation für Unternehmen immer schwieriger. Und das ist wiederum ein Argument dafür, dass wir stärker in stabilen Kreisläufen in der Region denken müssen. Unternehmer müssen daher neue Geschäftsmodelle entwickeln, und insbesondere mit ihren Stakeholdern, Kunden und Zulieferern stabile Beziehungen aufbauen, und neue Fachkräfte gewinnen. Dabei spielt die Attraktivität der Region für Mitarbeiter eine immer größere Rolle.

Das ist leichter gesagt als getan.

RS: Richtig. Die Unternehmen reagieren ohnehin. Was sie brauchen, ist die Unterstützung der regionalen Akteure. Da sehe ich insbesondere die INNOS, aber auch die Hochschule, die Wirtschaftskammer und weitere regionale Netzwerke, die es in Tirol gibt, in der Pflicht, auf diese Entwicklungen umfassend zu reagieren und diese große gesellschaftliche und wirtschaftliche Transformation, die ja unvermeidlich ist, mit einem positiven Zukunftsbild zu versehen, sodass wir alle in der Region an einem Strang ziehen und diese Transformation gemeinsam gut meistern.

Wie kann das aussehen? Gibt es hier Vorreiter?

RS: Hierfür gibt es kein Patentrezept. Ich sehe, dass in anderen Regionen gerade ein sehr starker Zusammenhalt zwischen den Akteuren entsteht. Sie denken innovative Regionalentwicklungskonzepte gemeinsam, im Sinne der Wirtschaft. Denn es ist für uns alle ein wichtiger Faktor, die regionalen Unternehmen bei dieser tiefgreifenden Transformation zu unterstützen, weil sie letztendlich die für uns alle wichtige Wertschöpfung in die Region bringen. Um gemeinsam erfolgreich zu sein, muss jeder Akteur für sich in seinem Bereich Exzellenz entwickeln. Dafür braucht es beste Standortbedingungen und Infrastrukturen, die dabei helfen die gegenwärtigen Herausforderungen zu meistern.

Dinge, die entscheidend sind für oder gegen eine Region

Welche sind das?

RS:  Zu den großen Trends zählen Transparenz, Bürgerbeteiligung, die Selbstbestimmtheit jedes Einzelnen und weniger eine Top-Down-Politik, bei der irgendwer in einem stillen Kämmerchen sitzt und vermeintlich glaubt zu wissen, was richtig ist. Wir brauchen eine Partnerschaft auf Augenhöhe.

Bildung zum Beispiel wird eine immer wichtigere Rolle spielen, um qualifizierte Fach- und Führungskräfte zu haben. Diese wollen sich kontinuierlich weiterbilden, und wollen sich dabei untereinander austauschen. An Universitäten entstehen Start-ups, und Ideen, wie man manches mutiger denken kann. Die Unternehmen brauchen dieses institutionelle Umfeld und einen funktionierenden Austausch mit der Wissenschaft. Genauso, wie Menschen auch ein gutes Krankenhaus in der Region brauchen, sowie soziale Sicherheit und Unterstützung in schwierigen Lebenssituationen – wie zum Beispiel Pflegeinstitutionen oder ein Hospiz. Das sind alles wichtige soziale Fragen, ob sich Fachkräfte für oder gegen eine Region entscheiden.

Also haben wir alle ein großes gemeinsames Ziel?
RS: Ja – wenn die Region Osttirol überregional als eine lebenswerte Region mit wirtschaftlicher Kompetenz, aber auch mit positiven ökologischem und sozialem Impact für die Welt wahrgenommen werden will. Weil sie ökologisch Vorreiter ist. Weil sie bei sozialen Themen Vorreiter ist, und vor allem, weil sie dadurch auch wirtschaftlich erfolgreich ist. Das beginnt bei Fragen der Mobilität und der Energieversorgung, der Stadt- und Gemeindeplanung, hier ist es sicher auch die Frage nach leistbarem Wohnraum. Die Antworten auf diese Fragen führen auch zu eine Kulturveränderung, wie wir leben, arbeiten und wirtschaften wollen. Für diesen Kulturwandel braucht es vor allem auch jüngere Menschen, die sich nach ihrer Ausbildung bzw. Studium bewusst für die Region entscheiden. Und gegebenenfalls auch Osttiroler/innen die wieder zurück in die Heimat kommen. Aber dafür müssen die Perspektiven und Rahmenbedingungen passen.

„Jeder einzelne muss sehr viel dynamischer denken.“

Wie können wir die schaffen?

RS: Hier bilden Wirtschaft, Bildung und Innovation das magische Dreieck. Die Frage ist: Wie spielen diese drei Bereiche zusammen, so dass am Ende etwas Transformatives und Wertschaffendes für die Region passiert.

Was ist der Unterschied zwischen Veränderung und Transformation?

RS: Veränderung bedeutet, dass ich mich unter gegebenen Rahmenbedingungen verändere. Transformation heißt: Ich verändere die Rahmenbedingungen und mich dabei selbst. Und das kann natürlich nur von innen nach außen geschehen. Man muss sehr viel dynamischer und systemischer denken, und zwar jeder Einzelne. Wichtig dabei ist immer die positive Vision: Wo wollen wir hin, wenn der Sturm vorbei ist? Es wird erst zum Schluss abgerechnet und es zeigt sich erst in ein paar Jahren, wer die gegenwärtige Transformation gut gemeistert hat und wer nicht. In diesem Sinne entscheiden wir es gemeinsam im hier und jetzt, wie wir alle in Zukunft in Osttirol leben werden.

Autorin:
Monika Hoeksema

© Prof. Dr. René Schmidpeter, Shutterstock

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