[Weltweit umadum]

Wo fangen wir an? Beim Reiten mit dem Maharadscha von Jaipur? Beim Besuch der Ureinwohner Ecuadors? In Pjöngjang, wo der gesamte Bahnhof nur von einer einzelnen 60-Watt-Birne beleuchtet wurde? Schwierig, bei einem Gespräch mit dem Reisejournalisten Karl Jeller. Man kommt vom Hundertsten ins Tausendste und alles ist spannend.

Beginnen wir am besten am Anfang, in Sillian in Osttirol, wo er geboren wurde und aufgewachsen ist. In Lienz besuchte Jeller bis zum 18. Lebensjahr das musisch-pädagogische Realgymnasium und tat nach der Matura das, was er einfach tun musste: Er ging in die Welt. Zunächst nach Wien zum Studieren – Publizistik, Soziologie „und bisschen Ethnologie“. Sein Berufseinstieg war in der Werbung, aber „das war nicht so meins. Ich bin ein alter Hippie, immer gewesen“, lacht er. Und die Werbewelt sei Anfang der 80er-Jahre doch eine sehr elitäre, gespreizte Welt gewesen. „Man musste sich gut verkaufen können, großmäulig sein und ich habe mich da nie artgerecht verkaufen können“.

Also wechselte Jeller in den Journalismus, arbeitete als Praktikant beim ORF und beim Kurier im Ressort Außenpolitik und landete schließlich aushilfsweise in der Kulturredaktion. Das war sein Einstieg in den Kurier, dort sollte er sein berufliches Leben lang bleiben. Er schrieb Schauspieler-Portraits, wechselte wieder in die Außenpolitik und ergriff seine Chance, als das Reise-Ressort einen neuen Leiter brauchte. „Es ist mir gelungen, den mit Abstand größten Reiseteil einer österreichischen Tageszeitung zu machen. Das war für mich ein sehr dynamischer Job“, schwärmt Jeller.

Hauptsache Abenteuer

Fragt man ihn nach seinen schönsten Reisen, kommt er ins Erzählen. Um die Frage einfach zu beantworten, habe er zu viele Länder, zu viele Regionen gesehen. Eines aber bleibt gleich: „Ich bin immer gern abenteuerlich gereist“, sagt er. Mit 15 Jahren führte ihn ein Autostopp-Trip mit einem Schulkollegen das erste Mal nach Sizilien, und auch später, als Reisejournalist habe er immer das Abenteuer gesucht. Zum Beispiel, als er mit mit dem Range Rover auf der Seidenstraße unterwegs war; in zwei Etappen von der Türkei weg über Kirgisistan bis China. Oder ein achttägiger Ritt über das Aravalligebirge mit dem Maharadscha von Jaipur. Und Jeller erzählt von Indiens größtem Pilgerort Pushkar, dem größte Viehmarkt Asiens, „wir reden von 100.000 Kamelen, 30.000 Pferden, Tausenden Ziegen, Schafen und so weiter“. Er berichtet von heißblütigen Aravallipferden, von bunten Zelten, „wie man sie in alten Filmen sieht, mit Bommeln behängt“. Man sieht ihn vor sich, wie er mit einem Tross Inder auf Pferden die Jungtiere Tag für Tag im Sattel vorantrieb, abends im Zelt aß und am nächsten Tag weiterritt, bis sie am Ziel waren.

Ein ganzes halbes Jahr führte ihn nach Südamerika, unter anderem zu den Waorani, einem noch immer sehr isoliert lebenden Indiovolk im ecuadorianischen Amazonasgebiet. „Angehaucht durch mein Ethnologiestudium bin ich mit einem Führer in einem Dreitagesmarsch in den Dschungel hinein und habe mit ihnen dort eine Woche lang gelebt“,

– und er erinnert sich daran, dass er mit dem Blasrohr auf Brüllaffenjagd war. „Oder Afrika –

Schwarzafrika, Benin, Togo, Ghana –, wo ich die Möglichkeit hatte, in kleinen Dörfern Voodoo-Zeremonien beizuwohnen und zu fotografieren. Und Uganda bei den Gorillas, das war ein sehr tiefgreifendes Erlebnis für mich. Da schaust du wirklich deinen Ur-, ur-, Urgroßeltern in die Augen. Einer dieser riesigen Kolosse hat einen Kollegen in den Busch gestoßen, sich zu einer blonden Kollegin gesetzt und richtig geflirtet mit ihr.“ Es sei sicher sein eindrücklichstes Tiererlebnis gewesen, sagt Jeller und gleich darauf fällt ihm noch eine Begegnung mit Komodowaranen ein und schwenkt dann um nach Thailand: „Ich sage immer, das ist das Italien Asiens. Da gibt es gutes Essen, man kann das Land bequem bereisen, auch auf eigene Faust. Es gibt viel Kultur und ist immer wieder spannend.“

Mit dem Einsitzermofa nach Bosnien

Im Jahr 2014 ist Jeller als festangestellter Redakteur beim Kurier ausgeschieden und war bis 2020, seiner Pensionierung, noch als freier Journalist tätig. Heute macht er „ein bisschen Consulting“ oder entwickelt Abenteuerreisen für Kleinveranstalter mit, teils begleitet er Reisegruppen. Zuhause in Wien konzipiert er kleine Websites, fotografiert, „was ich immer schon gern gemacht habe“.

Und seine Reisen sind andere geworden. Das Fliegen habe er teils aus gesundheitlichen Gründen gelassen, es interessiere ihn auch nicht mehr so. „Was ich jetzt mache – ich nenne das mal Slow Travel – ich fahre viel mit dem Fahrrad, gehe zu Fuß, nehme mir Zeit für Details“, sagt Jeller und erinnert sich an eine seiner letzten Touren. Da tuckerte er mit einem Einsitzermofa, rotes Kennzeichen, die Küstenstraße Kroatiens von Rijeka nach Dubrovnik entlang bis hinein nach Bosnien. „Das geht irrsinnig langsam, ist aber irrsinnig gemütlich“, schwärmt er. „Die ersten drei, vier Tage denkst du: Was soll das, da komme ich ja nie ans Ziel. Und spätestens am vierten Tag findest du das sehr gemütlich und könntest auch bis Nepal fahren.“ Und die Abenteuer? Sind noch lange nicht abgehakt. Mit einem hergerichteten Minicamper, „so einen Hochdachkombi“, besucht er Länder, in denen er noch nicht war, Transnistrien zum Beispiel und andere Länder Osteuropas. „Das Nordkap musste ich wegen Corona sein lassen heuer“, sagt Jeller und vertröstet sich auf das nächste oder eben das übernächste Jahr.

Mit den Jugendfreunden dahinblödeln

Und Osttirol? Ist immer noch seine Heimat, doch „das war es eine Zeit lang nicht, dafür war ich viel zu abgelenkt“, sagt der 66-Jährige. Doch je älter er werde, „so im Halbwachzustand im Bett liegend, erinnere ich mich immer mehr an meine Kindheit und Jugend“, schmunzelt er. Der Bogen zu seinen frühen Jahren, seiner Kindheit und Jugend würde sich wieder schließen. Aber nicht nur im Wiener Bett, auch, wenn er zweimal im Jahr nach Lienz kommt. Dort besucht er seine Schwester Maria und geht mit Jugendfreunden Skifahren oder auf Skitouren oder im Sommer zum Wandern. Wenn er heute an Osttirol denkt, kommen ihm seine Jugendträume in den Sinn. Das Skitourengehen und immer wieder die Landschaft, „die einen offensichtlich doch sehr prägt“. Er liebe zwar das sanfthügelige Weinviertel – es sei im Alter doch bequemer zum Radfahren „als die Osttiroler Bergstraßerln“. Aber die Kind- und Jugendphase sei eben prägend in punkto Freunde und Landschaft. Und er spricht von Kals und Matrei, vom Defereggen, und von dort, „wo ich zuhause bin, die Villgratener Berge, die sind mir zum Skitouren das Liebste“, sagt Jeller. „Da kenne ich noch jeden Hügel, weiß, ah da habe ich die Ski verloren, da war ich fast in der Lawine. Es ist ein ganzes Kaleidoskop an Gefühlen, was da aufkommt“. Und er genießt es, mit seinen Jugendfreunden, dem Bodner Helmut, dem Stiebellehner Werner, dem Holzer Gerhard und dem Sprenger Peter zusammen zu sein und „a bissl dahinzublödeln, was man alles so als Kind oder Jugendlicher gemacht hat.“

„Das graust an jeden Weinviertler.“

Ja, und dann kommt er freilich wegen der Schlipfkrapfen, „wenn ich sie nicht selber mache“. Denn zuhause habe er „natürlich ein Osttiroler Nudelbrett“. Schlipfkrapfen, das ist Eintauchen in die Heimat. „Wenn ich dann Freunde vom Weinviertel einlade, dann trinken wir auch Milch dazu. Das graust an jeden Weinviertler, weil die natürlich alle einen Weinkeller daheim haben. Aber mittlerweile haben sie sich daran gewöhnt und trauen sich nicht mehr, nein zu sagen“, lacht Jeller. Und er erzählt noch vom Osttiroler Brot, das er in seinem Brotofen backt, natürlich mit Zigeunerkraut, das man „vor allem bei uns im Pustertal von Lienz Richtung Sillian heraus und in Südtirol für Roggenbrot verwendet“. Mahlen tut er das Getreide dafür mit einer Osttiroler Mühle. Und so ist immer ein Stück Heimat im Weinviertel.




Autorin:
Monika Hoeksema


© Karl Jeller



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