Viele haben schon von ihm gehört. Doch wer meint, der Kompetenzlehrgang „Nüsse knacken – Früchte ernten“ sei ein Gewinn allein für die Frauen Osttirols, der irrt. Er birgt einen nachhaltigen Nutzen für die gesamte Region und deren Gesellschaft. Denn: Die 30 Teilnehmerinnen, die im Herbst durchstarten, verfolgen nicht nur ihre eigenen Ziele. Sie sorgen mit frischen Ideen und neuer Power für ein Umdenken in lokalen Unternehmen, Institutionen und in der Politik.

Der Lehrgang ist ein Baustein des neuen RMO-Schwerpunkts „FrauDi!“ – eine Wortschöpfung aus „Trau di“ (mitzumachen, etwas zu bewirken) und „Freu di“ (dass etwas getan wird). Gab es bisher einzelne Projekte für Frauen, sei es beispielsweise gegen Gewalt oder für berufliche Perspektiven, erarbeitet das Regionsmanagement Osttirol (RMO) nun gemeinsam mit den aktiven und interessierten Akteuren im Bezirk eine umfassende Strategie. Das Ziel: regelmäßig Aktivitäten und Projekte zum Thema Frauen und Gleichstellung zu initiieren und Osttirol damit zu einem attraktiven Lebens- und Schaffensraum für Frauen zu gestalten.


Gemeinsam Ziele definieren

„Die Abwanderung junger Frauen ist eine Herausforderung“, sagt RMO-Projektmanagerin Nina Forcher. Ohne Frauen fehlen nicht nur Arbeitskräfte, sie fehlen der ganzen Gesellschaft. Daneben gebe es nur wenige Frauen in Führungspositionen, sei es in der Wirtschaft oder in öffentlichen Ämtern. „Herkömmliche Arbeitsstrukturen gekoppelt mit veralteten Rollenbildern fördern diese Situation“, sagt Nina Forcher. In der Folge würden Kompetenzen woanders eingesetzt werden. Dies seien nur ein paar der Gründe, warum das RMO sich dazu entschlossen habe, einen neuen Themenschwerpunkt zu setzen. In einem ersten Schritt wird nun gemeinsam mit den aktiven und interessierten Akteuren im Bezirk eine Strategie erarbeitet, die gemeinsame Ziele definiert. In der Folge sollen Projekte zum Thema Frauen und Gleichstellung ins Leben gerufen und umgesetzt werden.

Sehen, wo der Schuh drückt

Nina Forcher selbst bringt als Mutter eines kleinen Kinds ihre eigenen Erfahrungen mit. Stichworte Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Kinderbetreuung, gesellschaftliche Erwartungen. „Wir sehen, wo der Schuh drückt“, fasst sie zusammen. „Jetzt wollen wir das gemeinsam angehen und in den kommenden fünf, sechs Jahres etwas erreichen mit den und für die Frauen in Osttirol.“ Wenn die 31-Jährige „wir“ sagt, meint sie auch ihre Kolleginnen.


Altersarmut vorbeugen

Von sieben Beschäftigten beim RMO stehen fünf Frauen auf der Gehaltsliste. Nina Forchers Kollegin Gina Streit erzählt von ihren erwachsenen Kindern, die wegen andernorts besserer Infrastrukturen, Ausbildungsmöglichkeiten und Arbeitsangeboten weggezogen sind. Die 57-Jährige möchte junge Frauen auch für das Thema Pension sensibilisieren: „Die Rechnung ist einfach“, sagt sie. „Die langen Nicht-Arbeitszeiten von Müttern wirken sich auf die Pension sehr gravierend aus. Wir leben einfach nicht mehr in einer Zeit, in der ein Mann als Versorger gilt und Beziehungen ein Leben lang halten.“

Akzeptanz schaffen

Eine Struktur, die sich die jüngste Mitarbeiterin im RMO, Elisa Wallensteiner, ohnehin nicht mehr vorstellen kann. Die 25-Jährige kam nach einem Auslandsjahr in Paris und ihrem Studium in Innsbruck zurück nach Osttirol – anders als einige ihrer Freunde und Bekannten, die sich woanders ein Leben aufbauen. „Es war eine Herausforderung“, sagt sie. Man müsse einfach Akzeptanz zeigen für alle Formen von Familien- und Arbeitsstrukturen. „Und Offenheit schaffen“, ergänzt Nina Forcher. „Jeder geht seinen Weg und jeder davon ist richtig.“


Mut zur Kritik und zum eigenen Erfolg

Und so richtet sich der Kurs an Frauen aller Altersstufen sowie sämtlicher beruflicher und sozialer Hintergründe. „Wir kommen zu einem bunten Frauenbild, mit dem wir sehr viel abdecken können“, erklärt Gina Streit. „Wir möchten es schaffen, diese 30 Frauen, die am Lehrgang teilnehmen, auch langfristig in diesen Prozess einzubinden und immer wieder für verschiedene Projekte zu gewinnen.“ Zu den Handwerkszeugen des Kurses zählt, Frauen Mut zu machen, mit Herausforderungen umzugehen und den eigenen Wert zu bestimmen. Sie lernen den Umgang mit Kritik, üben sich in Rhetorik und wie sie sich am besten verkaufen. „Darin sind Frauen erfahrungsgemäß nicht die allerbesten“, weiß Gina Streit. „Sie tun viel Gutes, sprechen aber nicht darüber.“ Denn auch das wolle gelernt sein: Wie man seine eigenen Erfolge und was man leistet, präsentiert. Überhaupt brauche man eine Frauenlobby im Bezirk, die sich einsetzt, Netzwerke bildet und daraus intelligente und zielführende Projekte anstoße.

Von der Kursteilnehmerin zur Bürgermeisterin

Eine, die das erfolgreich geschafft hat und stetig weiter umsetzt, ist zum Beispiel die Kalser Bürgermeisterin Erika Rogl. Als ehemalige Teilnehmerin ist sie überzeugt von dem Lehrgang: „Das Nüsse knacken stärkt Frauen sowohl im privaten als auch im politischen Handeln. Man bekommt Rüstzeug in die Hand und kann in der Summe gestärkter mit allen möglichen Aufgaben umgehen“, sagt sie. Was sie besonders wertvoll findet? Eindeutig: das Netzwerken und das gegenseitige Stärken. Und das Coaching: “Ich war überrascht wie wertvoll dieses Mittel ist. Oftmals ist es ein Sich-Trauen. Die Gesellschaft besteht zur Hälfte aus Frauen und das darf sich auch in wirtschaftlichen Gremien spiegeln. Aber man muss sich schon selbst dafür einsetzen.“

Start in eine offene Gesellschaft

Der Abschluss des Lehrgangs im April 2022 wird zugleich der Start sein, Netzwerke zu vergrößern und zu stärken. Bei einem Alumni-Treffen lassen sich weitere Kontakte mit anderen ehemaligen Teilnehmerinnen knüpfen, Synergien sollen geschaffen werden. „Wir brauchen die Langfristigkeit“, sagt Gina Streit. Denn sie und ihre Kolleginnen Nina Forcher und Elisa Wallensteiner sehen in der Zukunft – stellvertretend für das RMO – im Bezirk Lienz eine offene Gesellschaft, in der Frauen sich verwirklichen können. Frauen, die sich frei entscheiden können, welche Lebensform sie wählen, die sich entfalten können und sich nicht um ihre Pension sorgen müssen. In absehbarer Zeit wollen die Projektmanagerinnen zurückblicken auf das, was sie messbar erreicht haben, auf vielfältige Möglichkeiten, die eben nicht nur einzelnen Frauen zugutekommen – sondern der ganzen Region.


© Regionsmanagement Osttirol / Elias Bachmann


Autorin:
Monika Hoeksema


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