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Osttirol ist … BILDUNG Ein Besuch in der Sonderschule

Manche Kinder fallen durchs Raster. So, im normalen Leben. Theoretisch zumindest. Vielleicht mag es mit dem Schreiben und Lesen einfach nicht klappen. Vielleicht mit den Zahlen. Vielleicht sind sie körperlich oder geistig beeinträchtigt, vielleicht traumatisiert. Für manche dieser Kinder eignet sich die Inklusion an Regelschulen. Für viele andere jedoch nicht. Und die finden ihren Platz an der Sonderschule Lienz. Ein Platz, der sie stark macht.

Optimale Unterstützung für Kinder mit besonderen Bedürfnissen

Es ist ein kleines Drama. Wenn man als Mutter oder Vater feststellt, dass das eigene Kind hinterherhinkt. Es kommt in der Schule nicht mit. Man hat ja gehofft, das wächst sich aus. Wird schon. Es braucht einfach mehr Zeit. Aber das tut es eben häufig nicht. Und: Es ist kein Drama. Dank Inklusion und Sonderpädagogik bekommen auch diese Kinder in Osttirol Raum und vor allem Zeit zum Lernen und Entwickeln. Und es sind nicht allein die Konzepte, es sind vor allem die Lehrer, Pädagogen und Assistenten, die sie mit viel Engagement umsetzen. So auch in der Schlossgasse 2 in Lienz.

Mit dem Schultaxi zum Unterricht

26 Kinder trudeln jeden Morgen ein. Sie sind zwischen sechs und 18 Jahre alt. Die meisten kommen mit dem Schultaxi, das sie vor der Haustür erwartet und am Nachmittag um 16 Uhr wieder nach Hause bringt. „Eine Riesenerleichterung für die Eltern“, weiß Schulleiterin Martina Walder. Die noch größere Erleichterung: die Hingabe, mit der ihre Kinder unterrichtet werden. „Viele von ihnen brauchen ganz viel Zuwendung“, sagt Martina Walder. „Und unsere Lehrer und Assistenten sind bereit, ganz viel zu geben.“ Dann erklärt sie die verschiedenen Lehrpläne.

Ein Lehrplan, der alles offen lässt

Einmal den für die Allgemeine Sonderschule, „der relativ nah am Lehrplan der Volks- und Mittelschule ist“, und den für Kinder mit erhöhtem Förderbedarf. Dieser ist ganz offen: „Was geht, ist recht, und was nicht geht, geht halt nicht. Der lässt alle Freiheiten“, sagt Martina Walder. Das Ziel für die meisten Kinder: das Erlernen der sogenannten Kulturtechniken, also Lesen, Schreiben und Rechnen. Plus alles Lebenspraktische. Angefangen vom Zähneputzen (wird in den ersten und zweiten Klassen jeden Morgen gemeinsam gemacht), für manche ist es das Treppensteigen oder die Selbstständigkeit auf dem WC, für andere der Umgang mit Werkzeug, für viele das Arbeiten in der Küche.

Digitalisierung in der Sonderschule

Unterrichtet werden auch Geografie, Geschichte und Biologie. Es wird gezeichnet, gesungen, musiziert, dazu kommen Religion und Sachunterricht. Zunehmend mit digitaler Unterstützung. Nicht erst seit Corona, aber seitdem intensiv. Die Digitalisierungsoffensive des Bundes hat auch hier für einen Innovationsschub gesorgt. Der Erfolg ist groß: Zum Spaßfaktor, klar, kommt die intuitive Bedienung. „Kinder, die nicht lesen und schreiben können, finden doch ihr Lieblingslied“, wundert sich auch Martina Walder immer wieder. Und das Einmaleins zu üben mache halt mit der Anton-App oder ähnlichen Programmen viel mehr Spaß. Das Ergebnis: Kein Kampf mehr. „Es geht vor allem ums Üben, Üben, Üben. Und ob ich es jetzt mit dem iPad mache oder am Computer oder im Heft, ist relativ wurscht“, erklärt die Schuldirektorin. Und was die Tablets noch können: Sie ermöglichen eine Teilhabe, bis hin zum musikalischen Bereich. „Ich kann da mitmachen“ erfahren die Kinder. Ein wahres Geschenk für alle, die sich sonst kaum mitteilen können.

Im Winter zum Hochstein, im Sommer an die Isel

In den Pausen ziehen sich die Kinder besonders gern in den „Snoezelen Raum“ zurück. Eine Idee aus den Niederlanden, ein ganz besonderer Platz zum Entspannen und Entschleunigen. Und dann wartet noch die Natur vor der Tür, und wie! „Uns ist es wichtig, einmal am Tag draußen gewesen zu sein“, sagt Martina Walder und erzählt, wie die Kinder im Winter mit ihren „Rutschplattln“ zum Hochstein marschieren, dessen schneebedeckter Gipfel auch jetzt im Mai noch hoch über Lienz ragt. Und so packen sie die Rodel ein und ganz neu – die Schneeschuhe. Jetzt im Frühling machen gerade ein paar Schüler ihren Radlführerschein, im Sommer geht’s dann mal zum Grillen an die Isel. Ein schönes Programm. Gibt es denn genügend Fachkräfte dafür?

Wer kommt, bleibt

Da lehnt Martina Walder sich entspannt zurück. An ihrer Schule arbeiten derzeit zehn Lehrer und acht Schulassistenten – „ohne sie wäre der Betrieb nicht denkbar“, sagt sie. Jeder dort leistet viel, trägt große Verantwortung. „Und trotzdem haben wir so gut wie keine Fluktuation. Da geht’s ums Zwischenmenschliche, dass wir es uns fein machen.“ An ihrer Schule herrsche ein entschleunigtes Tempo. Bewerbungen von Schulassistenten hat sie immer wieder auf dem Tisch, aber auch von Lehrern – „Osttiroler, die meist auswärts sind und zurückwollen. Und die Sonderpädagogen zieht es meist in die Sonderschule, nicht in die Inklusion.“ Zwar geht die politische Tendenz zur Integration und zur Inklusion, aber eben längst nicht für alle.

Nicht mehr am Rande stehen

„Kinder, die zu uns kommen, sind von Eltern, die sehen, dass ihre Kinder in einer Volksschule überfordert sind. Die sich bewusst dafür entscheiden, auch, wenn sie es inzwischen schon fast rechtfertigen müssen. Oder es sind Kinder, die trotz aller Bemühungen in der Regelschule gescheitert sind. Aber das macht was mit einem Kind, ausgegrenzt zu sein, trotz aller Versuche am Rande zu stehen.“ Hier gewännen sie Selbstbewusstsein. Und wie geht’s nach der Schule weiter?

Mut der Wirtschaft

Manche Kinder erreichen eine Teilqualifikation. Gemeinsam mit der Arbeitsassistenz Tirol (Arbas) beispielsweise wird geschaut, wo die Stärken liegen, was ihnen Freude macht, dann können sie schnuppern gehen. Vielleicht ist Schloss Lengberg die nächste Station. „Es gibt viele Angebote im Bezirk für solche Kinder“, sagt Martina Walder. Manchmal sei es für Eltern nicht einfach zu akzeptieren, dass der Weg ihres Kindes ein wenig anders verläuft. Aber: „Für jeden gibt’s a Platzl. Manchmal braucht man halt a bissl Geduld. Und das ist so wichtig für jeden Menschen“, fasst sie zusammen. Und was sie sich erhofft? „Den Mut der Wirtschaft“, sagt sie. „Vielleicht kann einer keine Rechtschreibung, aber er kann arbeiten, hat Sinn für Technik oder Modeverständnis, ist geduldig, freundlich und ordentlich und kann gut mit Menschen umgehen.“ Da Nischen zu finden und zu füllen, wäre Martina Walders Wunsch.

Weitere Informationen:
Allgemeine Sonderschule Lienz

Autorin:
Monika Hoeksema

© Allgemeine Sonderschule Lienz

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