Osttirol in Öl – „zum Niederbrechen“

Eigentlich müsste man Erich Lexer beim Kauf seiner Bücher als Bonus dazubekommen: Zu jedem Maler, jedem Bild fällt ihm eine Begebenheit, eine Anekdote ein. Er erzählt von malenden Pfarrern und Bauern, erklärt das Entstehen frühester Fresken, berichtet von aufschlussreichen Begegnungen mit heutigen Künstlern. Für sein Lebenswerk ist er hinter Altäre geklettert, er hat Emporen erklommen, auf kalten Kirchenböden liegend die optimale Perspektive für ein Foto gefunden. Nach zweieinhalb Jahren ist sein „Opus Magnum“ nun zu haben. Fast fünf Kilo wiegt es, ein wuchtiges Werk über die Malerei in Osttirol. 700 Jahre Kunstgeschichte hat er abgebildet, beschrieben und noch viel mehr.


Die frühesten Werke entdeckte er in der Klosterkirch St. Marien in Lienz, in Schloss Bruck, in der St.-Andrä-Kirche. Erich Lexer erläutert, wie etwa der Maler Simon von Taisten die warmen Sommermonate nutzte, um die „Schutzmantel-Muttergottes“ Ende des 15. Jahrhunderts auf feuchtem Putz mit intensiv strahlenden Farben darzustellen. Einige Künstler, die während der Spätgotik und des Barocks im 17. Jahrhundert wirkten, fand er anhand von Archivmaterial wie Zeugenaussagen in Gerichtsprotokollen, Kaufverträgen oder Ansuchen um das Stadtrecht. „Nicht wenige, einst übermalte oder übertünchte Fresken, entdeckte man erst bei Restaurierungen in den 1970er- und 80er-Jahren“, berichtet er.

Mehr als 170 Künstler

„Diese beiden Bücher bringen jetzt Licht ins Dunkel dieser Geschichten“, ist er überzeugt. Er sei selbst überrascht darüber, was er bei näherer Recherche noch alles gefunden habe. 174 Künstlern räumt er in den beiden Bänden Raum ein. Den Anspruch auf Vollständigkeit erhebt er nicht. Akademiker sind ebenso verzeichnet wie Autodidakten. Denn: „Ob jemand eine Akademie besucht hat oder nicht, ist kein Qualitätskriterium. Es zählt allein Begabung und Kreativität.“ Lexer erwähnt internationale und österreichische Beispiele, etwa Hans Staudacher, inzwischen „hochgeschätzt und hoch bezahlt“. Er blättert weiter und verweist auf die Werke Christian Wurnitschs aus der Kunstwerkstatt der Lebenshilfe. Er stellte seine Aquarelle bereits auf der Documenta in Kassel aus, der weltweit bedeutendsten Ausstellungsreihe zeitgenössischer Kunst.

Vom Sammler zum Archivar

Ambitionen selbst zu malen, hat Erich Lexer keine. Es habe ein paar Versuche gegeben, doch er habe bald gemerkt: „Zu mehr reicht’s nicht“, lacht er. Dafür sammelt er seit Jahrzehnten Osttiroler Bilder, machte sich auf die Suche nach weiteren Künstlern, legte ein Fotoarchiv an, recherchierte, stöberte. „Draußen“, sagt er, und meint alles jenseits Osttirols, „kennt man den Defregger und den Egger-Lienz, und das war’s dann meist. Die überwiegende Anzahl der dargestellten Bilder stammt übrigens aus dem Privatbesitz heimischer Besitzer und Sammler. „Angereichert ist die Zusammenstellung durch Fotos aus dem Dorotheum und anderen Auktionshäusern, aus Museen, etwa dem Belvedere und dem Ferdinandeum, …

Akribische Kleinarbeit

Zweimal holte Erich Lexer sich in Tirol den Titel „Landesmeister der Amateurfotografen“. Geschick und Erfahrung als Fotograf kamen ihm bei seiner Arbeit an den Büchern zugute. Mit der digitalen Spiegelreflexkamera fuhr Erich Lexer 2020 die Kirchen ab, fotografierte Fresken und Altarblätter. So wie die Darstellung von „Mariä Himmelfahrt“ von Johann Waginger dem Jüngeren in seinem Buch auf Hochglanzpapier zu bewundern ist, werden Betrachter sie im Original in der Pfarrkirche von Oberlienz wegen einer Statue davor und schlechter Lichtverhältnisse niemals sehen. Ebenso das Fresko „Schutzmantel-Muttergottes“ in der Wallfahrtskirche Maria Schnee in Obermauern, das um 1484 entstand: Lexer fotografierte die Werke aus den unterschiedlichsten Perspektiven und einzelne Details und setzte bis zu fünf Aufnahmen in feinster Detailarbeit am Computer wieder zusammen. Allein sechs Stunden saß er für das Schutzmantel-Muttergottes-Fresko vor dem Bildschirm.

„Die is a Hammer, die Frau“

„Ich hab‘ gern schöne Dinge“, sagt der ehemalige Lehrer. Biologie und Erdwissenschaften, Chemie und Physik waren seine Lehrfächer. Und das Schöngeistige war auch schon immer seins. Großformatige Bilder hängen in seinem Haus, in der Mitte des Wohnzimmers steht ein schwarzer Flügel. Aber nein, nicht abschweifen, wieder ist er bei seinen Büchern. Die eine Malerin, kommt er auf die Künstler zurück und zeigt auf die Bodenwinkler Lisl und ihr Geburtsdatum: 1929 geboren. Sie lebt in Matrei. Lexer tippt mit dem Finger auf „Rote Vögel im Gespräch“, spricht über „Die Falkensteiner Thoke mit’n roten Rocke“. „Sie ist nicht nur begabt und äußerst kreativ, sondern auch belesen, und die hat einen Humor die Frau, zum Niederbrechen, die is a Hammer“, lacht er. Sie war die letzte Künstlerin, die „unbedingt noch hineinmusste“, da jonglierte er sogar mit der Zahl der Druckbögen, um Platz zu schaffen.

Spannende Reise in die (eigene) Vergangenheit

Und man selbst blättert weiter und vor und zurück, bleibt hängen bei Öl-, Kohle- und Acrylmalerei, Bindertechnik und Bleistift, Tempera und Linolschnitt, bei Digitaldrucken, auch Skulpturen malender Bildhauer. Es ist eine Reise durch die Zeit, an die Iselbrücke ebenso wie nach Umbrien, wohin es die Maler auf ihren Reisen eben auch führte. Lexer selbst nimmt sich jetzt erst einmal eine Pause. Er freut sich aufs Skifahren. Und er möchte mit seiner Lebensgefährtin Renate auch reisen. So viele Museen wollen noch besucht werden – in New York, Madrid, Paris … Bücher wird er wohl keine mehr machen. Vielleicht eine Ausstellung mit seinen Fotografien. Wir warten schon jetzt darauf. Auch dies wird sicher wieder eine Reise in die eigene Vergangenheit.

Weitere Informationen:

Die Malerinnen und Maler Osttirols von 1400 bis heute, Edition Lexer, 2 Bände im hochwertigen Schuber, handsigniert, auf Wunsch mit Widmung, 736 Seiten, 120 Euro, erhältlich unter Tel. 04852/65653 und E-Mail




Autorin:
Monika Hoeksema



© Erich Lexer




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